In Sachen hl. Maria Goretti

[einer ganz besonders lieben Freundin gewidmet - dédié à une copine très précieuse, en raison des circonstances actuelles ;-)]

In Corinaldo, mit dem Schneewittchensarg der "piccola santa", Bild von hier.





Die Geschichte des unschuldigen Mädchens Maria Goretti und die ihres Mörders, Alessandro Serenelli, auf eine ganz bezaubernde Art nacherzählt von Barbara Wenz, u.a. in den "Poetischen Pilgerorten" und im Nacht(b)revier der Mme Elsa. 
<< Die kleine Maria wächst als älteste von fünf Kindern des Kleinbauern Luigi und seiner Frau Assunta auf. Sie wird schon früh Verantwortung für ihre Geschwister übernommen, im Haus und bei der Arbeit mitgeholfen haben. Die Erde um Corinaldo ist ungewöhnlich schwer und äußerst lehmhaltig, die Feldarbeit anstrengender als anderswo. Saubohnen und Mais, Mais und Saubohnen, viel mehr Abwechslung wird der Küchentisch der Gorettis nicht gesehen haben. Als die Felder einfach nicht mehr genug hergeben, beschließen die Gorettis in die Nähe von Nettuno ans Tyrrhenische Meer zu ziehen, also just auf die andere Seite des Stiefels, in die berüchtigten Pontinischen Sümpfe. Maria ist zu diesem Zeitpunkt neun Jahre alt, ein fromm erzogenes und tiefgläubiges Kind. Als ein Jahr später der Vater an Malaria stirbt, tröstet die Kleine die Mutter mit den Worten, dass Gott schon helfen werde. Vermutlich konnte Marietta, wie sie in der Familie gerufen wurde, kaum lesen oder schreiben. Kinder armer Kleinbauern oder Pächter besuchten damals kaum die Schule, Analphabetentum herrschte bei ihnen vor. Dafür besaß Marietta einen glühenden und sehnsüchtigen Glauben und sie wusste sehr genau zu unterscheiden zwischen Laster und Tugend, Sünde und gottgefälligem Handeln.
Marietta war gehorsam, ernsthaft und fleißig. Sie half im Haus und auf dem Feld mit, wo es nur ging – weil es gar nicht anders ging. Jeden Abend betete sie den Rosenkranz, bei der Arbeit sang sie zusammen mit den anderen Marienlieder. Sie war ein stilles Mädchen, das wohl gerne Nonne geworden wäre und sich auf den Tag ihrer Erstkommunion freute, an dem sie zum ersten und einzigen Mal in ihrem Leben ein schönes weißes Kleid tragen durfte, den Korallenschmuck ihrer Mutter um den Hals und einen Kranz aus Feldblumen im Haar.
Alessandro dagegen war ein ziemlich zwiespältiger Typ. Von ihm selbst wissen wir, dass er von Zeitschriften und Zeitungen beeinflusst wurde, von Menschen, die kein gutes Beispiel für ihn waren. Er hatte viele Jahre als Bootsjunge auf Fischerbooten und Frachtkähnen verbracht, nun ernährte er seinen kranken und trunksüchtigen Vater, die Mutter war bereits tot. Er wird geschildert als ein einerseits freundlicher junger Mann, der Fremden gegenüber aufgrund seiner Schüchternheit auch schroff und abweisend sein konnte. Alessandro konnte lesen, er war nicht dumm, aber er litt offensichtlich in seiner Jugend an einer gewissen Gefühlskälte und rücksichtslosem Egoismus. Vor allem aber las er einschlägige Magazine. Im Vergleich zu dem, was heute geboten wird, sicher harmlos. Aber es reichte aus: Sein sexuelles Verlangen wuchs und wuchs. Und Marietta die einzige Frau für ihn in Reichweite. Sie gefiel ihm, obwohl er sie nicht als „schön“ empfand, wie er einmal sagte. Sie gefiel ihm, weil sie da war und vielleicht auch besonders deswegen, weil er vor ihr keine Angst haben musste wie vor einer erwachsenen Frau.
Und so begann er, sie zu belästigen und zu bedrängen, und weil sie ihm sexuell nicht zu Willen sein wollte, auch immer häufiger zu schikanieren. Selbstverständlich musste sie ihn von hinten bis vorne bedienen, doch seine Befehle wurden immer bösartiger und unsinniger. Marietta erzählt der Mutter nichts davon, ob aus Scham oder aus Angst vor Alessandro – oder beidem. An einem heißen Nachmittag im Juli 1902, die Pächter waren mit Freunden und Bekannten bei der Bohnenernte, lauerte Alessandro ihr im Haus auf und versuchte sie zu vergewaltigen. Sie wehrte sich und rief immer wieder „Tu es nicht, Alessandro, du kommst in die Hölle!“ Alessandro geriet in Rage, griff nach einer Ahle und hackte vierzehn Mal damit auf den Körper des Mädchens ein. Sie habe mit diesen Worten ihre Reinheit verteidigt und gilt daher als Märtyrerin für die Tugend der Keuschheit.
Sie wollte lieber sterben als eine Sünde begehen – doch hatte sie eine Wahl? Wohl nicht. Ihr Mörder hätte diese Wahl gehabt, doch er dachte nicht daran, von ihr abzulassen, selbst als sie ihn um seines eigenen Seelenheiles willen darum bat.
Es ist wenig bemerkt worden von Kritikern und vor allem Kritikerinnen dieser Heiligsprechung, dass das Kind zwar seine Keuschheit verteidigte, sofern sie als schwaches Mädchen überhaupt dazu in der Lage war, es ihr aber in erster Linie nicht um sie selbst ging: Tu es nicht Alessandro, du kommst in die Hölle!
Diese Tatsache, und dass sie ihrem Mörder auf dem Sterbebett mit den Worten „Ich vergebe ihm, ich bete für ihn, ich will ihn bei mir im Paradies haben“ verzieh, macht das barfüßige Mädchen aus Corinaldo zu einem fast unerreichbar erscheinenden Vorbild in der Nachfolge Christi. Noch bevor die Kirche darauf kam, dass man dieses Mädchen zu Ehren der Altäre erheben müsse, huldigten ihr bereits die einfachen Leute, die Lumpensammler, die Kleinbauern und Viehhirten in den Pontinischen Sümpfen und von Corinaldo.
Ihr Mörder, der bemerkenswert wenig Reue zeigte, wandert für dreißig Jahre ins Zuchthaus – Maria Goretti schwebt in einer Gloriole hinauf in einen dramatisch beleuchteten italienischen Sommerhimmel, umflattert von Engeln, das Antlitz emporgehoben ins Ewige Licht, überstrahlt von einem überirdischen Glanz. So würde die Geschichte à la Hollywood enden. Doch Gott hatte wieder einmal das bessere Drehbuch.
Im achten Jahr seines Gefängnisaufenthaltes hatte Alessandro eine Traumerscheinung von Marietta, die ihm ganz in Weiß gekleidet in einem wunderschönen Garten begegnet, erneut ihre Vergebung zusichert und ihm eine weiße Lilie nach der anderen überreicht, die sich in seinen Händen nach und nach zu funkelnden Kerzen verwandelten. Endlich bekehrte er sich, zeigte Reue und erhielt die Erlaubnis, in seiner Zelle einen Altar mit Blumen, Kreuz und einem Bild von Marietta einzurichten. Wegen vorbildlicher Führung wird er schon nach 26 Jahren entlassen und kehrt zurück an die Adria, zu einem Kapuzinerkonvent in den Marken, wo er Aufnahme als Laienbruder findet und einfache Arbeiten erledigt. Ein altes Foto zeigt ihn – einen sympathischen Opa - mit einem Gärtnerschurz bekleidet beim Schneiden der Obstbäume. Eine andere Aufnahme vor dem Hausaltar in seinem Zimmer mit einem Bild Mariettas und einem großen Rosenkranz aus Holz. Rote Lilien stehen in zwei Vasen darauf und verweisen auf die „Lilie in Purpur“, die Jungfrau, die das Martyrium erlitt. Und schließlich gibt es ein Foto, das ihn einträchtig neben „Mamma Assunta“zeigt, wie die nach Corinaldo zurückgekehrte Mutter Mariettas nun liebevoll von allen genannt wird. Mamma Assunta fand eine Anstellung im Pfarrhaus und Alessandro erschien in der Weihnachtszeit bei ihr, um ihre Vergebung zu erbitten. „Wenn Gott dir vergeben hat, wie könnte ich dir da nicht vergeben!“, soll sie gesagt haben und so erlebte das Städtchen Corinaldo ein Weihnachtswunder der besonderen Art, als die Mutter des Opfers und der reuige und bekehrte Mörder Seite an Seite beim Messbesuch zum Tisch des Herrn vortraten.
Und so schloss sich der Kreis, endet unsere Geschichte in Corinaldo, wo alles begann.
Alessandro starb im hohen Alter von 88 Jahren im Konvent in Macerata in den Marken und hinterließ ein geistliches Testament, in dem er vor dem Konsum von erotischen und pornografischen Zeitschriften warnt. Unter dem Namen „The Serenellians“ haben sich US-Katholiken informell zu einer Initiative zusammengeschlossen, die Pornosüchtigen helfen möchte. >>

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