Sterbebegleitung statt Tötung auf Verlangen
Ein Gastbeitrag von Christoph Kraus.
Man muss nur einmal die Augen zusammenkneifen und sich für
einen kurzen Moment vorstellen, der Herr selbst hätte sich seinem Leiden
entzogen, wäre dem schmachvollen Tod am Kreuz entgangen, der Geißelung, des
Spotts durch die Dornenkrone, er hätte dem Sühnetod widersagt und stattdessen – wissend, in persönlicher
Freiheit zu handeln und den Willen des Vaters auszuschlagen – den Freitod
gewählt.
Nach vorherrschender zeitgeistlich orientierter
humanistischer Sicht wäre diese Entscheidung nicht einmal zu beanstanden
gewesen. Präses Nikolaus Schneider höchstpersönlich, immerhin Ratsvorsitzender
der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), bekundete jüngst offen seine
Sympathie für eine seelsorgliche Begleitung von Menschen, die sich "für
Suizid entschieden" haben. Welch eine Farce!
Im Katechismus der Katholischen Kirche heißt es:
>>Gott ist in sich unendlich vollkommen und glücklich. In einem aus reiner Güte gefassten Ratschluss hat er den Menschen aus freiem Willen erschaffen, damit dieser an seinem glückseligen Leben teilhabe. Deswegen ist er dem Menschen jederzeit und überall nahe. Er ruft ihn und hilft ihm, ihn zu suchen, ihn zu erkennen und ihn mit all seinen Kräften zu lieben. Er ruft alle durch die Sünde voneinander getrennten Menschen in die Einheit seiner Familie, die Kirche. Er tut es durch seinen Sohn, den er als Erlöser und Retter gesandt hat, als die Zeit erfüllt war. In ihm und durch ihn beruft er die Menschen, im Heiligen Geist seine Kinder zu werden und so sein glückseliges Leben zu erben.<<
Ein vorzeitiger Eingriff in den Lauf der Welt, etwa durch
die Inanspruchnahme der aktiven Sterbehilfe, würde nicht nur der Lehre der
Kirche widersprechen, sondern auch den Begriff der Menschlichkeit ab absurdum
führen. Wer Menschen aus fadenscheinigen Gründen (Stichwort: „um der Barmherzigkeitt
willen“) vom Leben „erlöst“ – was schon an sich ein Widerspruch ist,
schließlich hat Christus selbst schon selbiges bewirkt – der macht sich
mitschuldig am Übel der Unmenschlichkeit.
Die Neuformulierung von § 217, der die gewerbsmäßige Förderung
der Selbsttötung thematisiert, besteht nun im zweiten Absatz auf folgende
Klausel:
>>Ein nicht gewerbsmäßig handelnder Teilnehmer ist straffrei, wenn der (…) andere sein Angehöriger oder eine andere ihm nahe stehende Person ist.<<
Diese Sicht der Dinge deckt sich mit dem Verständnis des
eingangs zitierten Präses Schneider, für den es maßgeblich auf die Beziehung
zwischen Sterbebegleiter und demjenigen, der Suizid begehen möchte, ankommt.
Wörtlich: „Wenn es Spitz auf Knopf kommt, dann sind wir für die Menschen da und
nicht für die Sauberkeit unserer Position.“
Darüber kann man bloß den Kopf schütteln, gleichzeitig beten
(!) und dringend dazu ermahnen, Sterbebegleitung als das zu sehen, was sie nach
katholischem Verständnis ist, nämlich als allumfassende
Begleitung von Sterbenden, also von Menschen, die im Begriff sind, vom
irdischen ins andere Dasein zu gleiten. Trauerarbeit beginnt nicht erst in dem
Moment, in dem ein Arzt nach gesetzlicher Pflicht die Todesbescheinigung
ausstellt. Sie fängt auch nicht an dem Tag an, an dem sich die Angehörigen in
frommer Absicht auf dem Friedhof versammeln und der Kirchenchor mehrstimmig „Es
ist vollbracht“ anstimmt, ehe die Trauernden zum deftigen Leichenschmaus ins
örtliche Wirtshaus schlendern.
Der Begriff der Seelsorge, der oft mit bloßem, unbedachtem
Sakramentaltourismus verwechselt wird, entspringt vielmehr dem Gedanken, den
Menschen von der Taufe bis zur würdigen Bestattungsfeier zu begleiten – gerade
dann, wenn Krankheit und Leid das Leben brandmarken, es scheinbar (nach
humanistischer Auffassung) unmenschlich machen. Das ist nicht nur Sterbehilfe,
sondern Lebenshilfe.
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