Gewissen und Bildung

ähm ja... gestern ist mir da ein bisschen der Hut hochgegangen über Priester, die in der Predigt, während der hl. Messe das Gewissen über die Kirche erheben. Und heute morgen gibt es schon eine Erwiederung darauf - auch noch von einem der Blogger Großmeister persönlich: Josef Bordat.
>>Jeder Mensch hat ein Gewissen, das zu ihm spricht. Doch das Gewissen ist lediglich eine Ressource. Sie muss gefördert werden. Denn der Mensch kann die zarte innere Stimme überhören, weil sie von anderen Geräuschen übertönt wird. Schließlich wird sie immer leiser, bis sie ganz verstummt. Gehen wir nicht durch diese Schule der Gewissensbildung werden wir moralisch gehör- und sprachlos. [...] Die Kirche bietet für die Gewissensbildung ein „Trainingsprogramm“ an. Aus ihren Vorstellungen heraus wird das Gewissen informiert und geformt, also durch das, was nach Lehre der Kirche objektiver Wertmaßstab sein sollte, weil es im Glauben der Kirche als wahr gilt. Hier zeigt sich bereits die Sollbruchstelle zur säkularen Gesellschaft: der Wahrheitsanspruch. [...] In der katholischen Gewissensbildung kommen in der Tat „Gewissen“ und „Kirche“ wirkungsvoll zusammen. Doch wie sieht sie konkret aus, diese Gewissensbildung? Es gibt viele Quellen, aus denen sich die Gewissensbildung des katholischen Christen speist und die sich im Gewissensspiegel finden lassen. Die Ethik Jesu ist dabei zentral.<<

Da fühle ich mich doch geehrt und sage einfach mal: Danke, JoBo!

Kommentare

  1. ...und ich habe so geschmunzelt über den Untertitel "Eine GANZ KURZE Antwort" ... ;-)
    Aber: toll!

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  2. Bitte sehr! - Und das mit dem "kurz" ist ja immer relativ - ich schreibe derzeit an einem 150-Seiten-Manuskript zu dem Thema, von daher sind 3 Seiten wirklich "ganz kurz"! ;-)

    LG, JoBo

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  3. Der Priester hat im Grunde nichts aus kath. Sicht Anstößiges gesagt. Es kommt natürlich immer darauf an, wie und in welchem Kontext er redete. Das Gewissen lässt sich ja leicht für andere Zwecke instrumentalisieren. Aber an solche Manipulationen muss man nicht gleich denken, und ohne weitere Info und auf den ersten Blick kann man ihm wohl bescheinigen, gut katholisch gepredigt zu haben.

    Gertie vertritt offenbar den klassischen Affekt der Gewissensskeptiker, die individuelle Gewissensfreiheit mit libertinärer Ethik gleichsetzen und gegen eine Betonung des Gewissens in Glaubens- und Sittenangelegenheiten allergisch sind. Leute wie Dietrich Hildebrand, Frischer Wind oder Weihbischof Schwaderlapp eben.
    Josef Bordat ist da wesentlich differenzierter und versucht, das Gewissen katholisch zu begründen. Die eigtl. Kernproblematik spricht er aber für mein Gefühl etwas gehemmt und nicht klar genug an, vllt. weil auch ihm die Abwehr moderner Gewissensethik im Namen der Lehramtstreue ein Anliegen ist. Nichtsdestotrotz sind seine Ausführungen lesenswert und man kann ihnen weitgehend zustimmen. Schön wäre es nur, wenn er nicht nur den „Rückgriff auf das thomistische Naturrecht“, sondern auch den von Thomas begründeten (absoluten) Primat des (gebildeten oder ungebildeten) Gewissens als katholische Lehre herausstellen würde.

    Maßstab für das Gewissen ist die Wahrheit, die ich nach bestem Wissen und Gewissen zu erkennen vermag und trachten muss, wobei ich mich dann so gut und gewissenhaft wie möglich nach dem in meinem Gewissen als richtig Erkannten zu richten habe. Es geht nicht um Lust und Laune, sondern ich muss mir selbst gegenüber ehrlich, aufmerksam und sensibel sein und mich sorgfältig mit dem Gegenstand auseinandersetzen, bis ich unter Heranziehung aller geeigneten und verfügbaren Mittel und Autoritäten zu einem Urteil gelange, das ich im innersten und aufrichtigsten Kern meines Denkens und Fühlens als Wahrheit erkenne oder das mir nach bestem Vermögen hinlänglich begründet erscheint, um es als wahr akzeptieren zu können. Dieses Urteil kann und muss ich auch immer wieder neu in Frage stellen und ggf. mit anderen, bisher übersehenen oder neuen Fakten, Erkenntnissen, Aspekten, situativen Umständen usw. konfrontieren, ausleuchten und ggf. revidieren. Ein solches Gewissensurteil muss keineswegs meinen Vorannahmen, Wünschen, Launen oder Interessen entsprechen, gerade das Gegenteil ist oftmals der Fall. Natürlich kann ich mich selbst belügen, ein schlecht geöltes Gewissen bemerkt das oft nicht einmal.

    Trotzdem ist die Gewissenserforschung eine zutiefst persönliche Angelegenheit, die mir keine objektive Instanz (Lehramt, Hierarchie etc.) abnehmen kann. Es gibt nun einmal keine andere Instanz als mich selbst, die bestimmen kann, was ich als *wirklich* wahr und gerecht betrachte und was mich *wirklich* im Innersten überzeugt. Die Gedanken sind frei, daran führt kein Weg vorbei.

    Das darf eben nicht mit Beliebigkeit verwechselt werden. Es ist keineswegs beliebig, was mir als wahr einleuchtet, wenn ich unvoreingenommen und offen darüber nachdenke und mich an grundlegende moralische und denkerische Gesetz halte. Als Gläubiger weiß ich darüber hinaus: Es ist Gottes Stimme, die mir in diesem innerlichen Prozess begegnet, sofern und soweit ich mein Gehör für ihn trainiere (das ist wohl auch das Hauptanliegen in Bordats Beiträgen zu dem Thema). Aber Achtung: Nur weil unterschiedliche Menschen dabei mitunter trotzdem zu unterschiedlichen Urteilen gelangen, bedeutet das auch nicht, dass es unterschiedliche Wahrheiten gäbe.

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  4. (Forts. wg. Überlänge)

    Diese Differenzierung kriegen viele etwas „dogmatistisch“ denkende Gläubige leider nicht auf die Reihe. Gerade sie sollte allerdings Gegenstand ihrer Gewissensbildung sein: sich klar zu werden, dass es niemand anders ist als sie selbst sind, die für ihre Glaubensüberzeugungen einstehen müssen. Die Verantwortung an eine objektive Instanz abzugeben, ist sicher einfacher, aber letztlich unmoralisch und gewissenlos. Das heißt wie gesagt nicht, dass man der objektiven Instanz, der man vertraut und an die man glaubt, nicht zu folgen hätte. Man muss es aber aus Überzeugung und mit gutem Gewissen tun. Katholiken sind keine Borg.

    Glaubens- und Sittengehorsam an sich ist wertlos, wenn er unter Ausschaltung der eigenen innerlichen Gewissensüberzeugung geschieht. Ein Häretiker handelt moralisch richtiger als ein Rechtgläubiger, wenn Ersterer seinem Gewissen folgt und Letzterer es nicht für nötig hält, sein (individuelles) Gewissen überhaupt zu befragen, weil er „einfach katholisch“ sein und unhinterfragten Autoritäten folgen will. Eine solche (missverstandene) Rechtgläubigkeit ist ethisch für Katholiken inakzeptabel. Wer das (in seinem Gewissen) erkennt, muss dieser Einsicht folgen, sonst handelt er gegen sein Gewissen und wird schuldig.

    Das bedeutet wie gesagt überhaupt nicht, dass kirchliche Instanzen nicht vorgeben könnten, was als wahr zu gelten hat (wenn es denn stimmt). Ich muss nicht alles selbst herausfinden und überprüfen, ich kann mich auch auf vertrauenswürdige Instanzen verlassen, bin u.U. sogar im Glauben dazu gehalten. Trotzdem unterliegt auch diese Vorgabe einer allerletzten Prüfung durch das Gewissen des Einzelnen und muss von diesem angenommen oder abgelehnt werden, so fehlgeleitet er dabei u.U. auch sein mag. Die Instanzen liefern die externen Informationen, Gesetze und Maßstäbe, die mir helfen und mich anleiten, ja mich geradezu fordern. Mitunter muss ich mich auch gegen mein „Gefühl“ oder meine beschränkte eigene Einsicht auf sie verlassen. Aber auch das ist eine Gewissensentscheidung. Richtig: Die Entscheidung, dem Lehramt ggf. sogar „blind“ zu vertrauen, ist eine Gewissensentscheidung (und es könnte selbstverständlich Situationen geben, in denen mein Gewissen mir verbietet, das zu tun). Die Pflicht, das Gewissen einzuschalten und auszubilden und ihm zu folgen, liegt beim Einzelnen, diese subjektive Verfasstheit ist autoritätsgläubigen Menschen schwer zu vermitteln, aber sie lässt sich nicht umgehen.

    Daher ist auch die Beurteilung von außen, ob ich mit reinem (evtl. irrenden) Gewissen handle oder die Gewissengründe nur vorschiebe, um mein (ggf. normabweichendes) Verhalten billig zu rechtfertigen, nicht möglich. Deshalb ist die äußere Gewissensfreiheit auch dann zu achten, wenn von außen betrachtet davon auszugehen ist, dass die Person objektiv falsch handelt und sich irrt oder gar selbst belügt. Das Gewissen lässt sich von außen nur durch Appelle und Aufklärung (Informationen, Argumente, Ermahnungen) beeinflussen, aber nicht fremdbestimmen.

    Dies ist die alte, gut thomistische, sogar ratzingersche, katholische Lehre :-)


    Sorry für den langen Post und nix für ungut, ist ein wichtiges Thema und Bordat erlaubt ja keine Kommentare, sonst hätte ich vllt. da gepostet.

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  5. Vielen Dank für Ihre intensiven Ausführungen, Jorge. Es ist schön zu sehen, dass noch mehr Menschen sich mit der Thematik des Gewissens befassen und ihre Entscheidungen danach ausrichten.

    Vielleicht hat sich trotz allem ein kleines Missverständnis eingeschlichen. Ich wollte in keiner Weise ausdrücken, dass ich es nicht gut finden würde, wenn Menschen bedingungslos der Stimme ihres Gewissens folgen, da " wir alle einen besseren Richter in uns tragen". Es ist die Gleichsetzung von eigenem Ego und Gewissen, die mir etwas aufstößt. Dass das Gewissen keine feststehende Größe ist, sondern einer Bildung bedarf, darüber sind wir uns wohl einig. Wichtig sind bei der Gewissensbildung allerdings die Kriterien und es bleibt leider die Gefahr, die eigenen Befindlichkeiten dabei höher zu erheben als die Wahrheit (des christlichen Glaubens, z.B. die 10 Gebote).

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