Botschaft zum XXXII Weltjugendtag (Panama 2019) - Teil 2

Der Mächtige hat Großes an mir getan

Die Begegnung zwischen den beiden Frauen – dem jungen Mädchen und der alten Frau – ist von der Gegenwart des Heiligen Geistes erfüllt und voller Freude und Staunen (vgl. Lk 1,40-45). Wie die Kinder in ihren Leibern tanzen die beiden Mütter gleichsam vor Glück. Vom Glauben Marias berührt ruft Elisabet aus: »Selig, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ« (V. 45). Ja, eine der großen Gaben, welche die Jungfrau Maria erhalten hat, ist der Glaube. An Gott zu glauben ist ein unschätzbares Geschenk, es muss aber auch angenommen werden; und Elisabet preist Maria dafür. Sie antwortet ihrerseits mit dem Lobgesang des Magnificat (vgl. Lk 1,46-55), in dem wir das Wort finden: »Der Mächtige hat Großes an mir getan« (V. 49). Dieses Gebet Marias ist ein revolutionäres Gebet, das Lied eines Mädchens voll Glauben, das sich seiner Grenzen bewusst ist, aber der Barmherzigkeit Gottes vertraut. Diese mutige junge Frau dankt Gott, weil er auf ihre Niedrigkeit geschaut hat, sie dankt für sein Heilswerk, das er an seinem Volk, an den Armen und Niedrigen vollbracht hat. Der Glaube ist die Herzmitte der ganzen Geschichte Marias. Ihr Lied hilft uns, das Erbarmen des Herrn als Antriebskraft der Geschichte zu begreifen, sowohl der persönlichen Geschichte eines jeden von uns als auch der ganzen Menschheit.

Wenn Gott das Herz eines jungen Mannes, eines jungen Mädchens berührt, werden diese zu wirklich großen Taten fähig. Das „Große“, das der Mächtige im Leben Marias getan hat, spricht zu uns auch von unserer Reise durch das Leben, die kein sinnloses Umherziehen ist, sondern eine Pilgerschaft, die trotz aller Ungewissheiten und Leiden in Gott ihre Erfüllung finden kann (vgl. Angelus, 15. August 2015). Ihr werdet mir sagen: „Pater, ich bin doch so eingeschränkt, ich bin ein Sünder, was kann ich tun?“ Wenn der Herr uns ruft, bleibt er nicht bei dem stehen, was wir sind oder getan haben. In dem Augenblick, in dem er uns ruft, schaut er vielmehr auf das, was wir tun könnten, auf all die Liebe, die freizusetzen wir imstande sind. Wie die junge Maria könnt auch ihr es zulassen, dass euer Leben ein Werkzeug wird, um die Welt besser zu machen. Jesus ruft euch, eure Spur im Leben zu hinterlassen, eine Spur, die die Geschichte kennzeichnet – eure Geschichte und die vieler anderer (vgl. Ansprache bei der Gebetsvigil, Krakau, 30. Juli 2016).

Jugendlicher sein bedeutet nicht, keine Verbindung zur Vergangenheit zu haben

Maria ist kaum über das Jugendalter hinaus wie viele von euch. Dennoch stimmt sie im Magnificat das Lob ihres Volkes und seiner Geschichte an. Dies zeigt uns: Jugendlicher sein bedeutet nicht, keine Verbindung zur Vergangenheit zu haben. Unsere persönliche Geschichte fügt sich in eine lange Reihe ein, in einen gemeinschaftlichen Weg, der uns in den Jahrhunderten vorangegangen ist. Wie Maria gehören auch wir einem Volk an. Und die Geschichte der Kirche lehrt uns, dass auch dann, wenn sie stürmische Meere durchquert, die Hand Gottes sie führt und schwierige Momente überwinden lässt. Die echte Erfahrung von Kirche ist nicht wie ein Flashmob, zu dem man sich verabredet, um eine Performance durchzuführen und um dann wieder seines Weges zu ziehen. Die Kirche trägt eine lange Tradition in sich, die von Generation zu Generation weitergegeben wird und dabei durch die Erfahrung jedes einzelnen bereichert wird. Auch eure Geschichte findet ihren Platz innerhalb der Geschichte der Kirche. Die Vergangenheit im Gedächtnis behalten dient auch dazu, das neuartige Eingreifen Gottes, das er in uns und durch uns verwirklichen will, anzunehmen. Und dies hilft uns, uns zu öffnen, um als seine Werkzeuge, als Mitarbeiter seiner Heilspläne ausgewählt zu werden. Auch ihr jungen Menschen könnt Großes vollbringen, wichtige Verantwortung übernehmen, wenn ihr das barmherzige und allmächtige Handeln Gottes in eurem Leben erkennt.

Ich möchte euch einige Fragen stellen: Auf welche Weise „speichert“ ihr eure Erinnerung der Ereignisse, die Erfahrungen eures Lebens „ab“? Was macht ihr mit den Tatsachen und Bildern, die sich in euer Gedächtnis eingeprägt haben? Manche – besonders jene, denen von den Umständen des Lebens Wunden geschlagen wurden – hätten Lust, ein „Reset“ der eigenen Vergangenheit durchzuführen und vom Recht auf das Vergessen Gebrauch zu machen. Ich möchte euch aber daran erinnern, dass es keinen Heiligen ohne Vergangenheit und keinen Sünder ohne Zukunft gibt. Die Perle entsteht aus einer Verletzung der Auster! Mit seiner Liebe kann Jesus unsere Herzen heilen und unsere Wunden in echte Perlen verwandeln. Wie der heilige Paulus sagt, kann der Herr seine Kraft in unserer Schwachheit erweisen (vgl. 2 Kor 12,9). Unsere Erinnerungen dürfen jedoch nicht alle angehäuft sein wie im Speicher auf der Festplatte. Und es ist auch nicht möglich, alles in einer virtuellen „Cloud“ abzulegen. Man muss lernen, dafür zu sorgen, dass die Geschehnisse der Vergangenheit zu einer dynamischen Wirklichkeit werden, über die man nachdenken und aus der man Lehren und Bedeutung für unsere Gegenwart und Zukunft ziehen kann. Es ist eine beschwerliche, aber notwendige Aufgabe, den roten Faden der Liebe Gottes zu entdecken, der unser ganzes Leben durchzieht.

Viele sagen, dass ihr jungen Menschen gedankenlos und oberflächlich seid. Dem stimme ich überhaupt nicht zu! Man muss aber zugeben, dass es in unserer Zeit nötig ist, die Fähigkeit wiederzuerlangen, über das eigene Leben nachzudenken und es auf Zukunft hin zu gestalten. Eine Vergangenheit zu haben ist nicht gleichbedeutend damit, eine Geschichte zu haben. Wir können in unserem Leben viele Erinnerungen haben, doch wie viele davon bilden wirklich unser Gedächtnis? Wie viele haben eine Bedeutung für unsere Herzen und helfen uns, unserem Leben einen Sinn zu verleihen? Die Gesichter der Jugendlichen in den social media tauchen auf vielen Fotos auf, die mehr oder weniger reale Ereignisse erzählen. Wir wissen hingegen nicht, wieviel davon „Geschichte“, sprich Erfahrung ist, die erzählenswert ist als auch Ziel und Sinn in sich birgt. Die TV-Programme sind voll von sogenannten Reality-Shows, aber es sind keine echten Geschichten, sondern nur Augenblicke, die vor einer Fernsehkamera ablaufen, bei denen die Personen planlos in den Tag hinein leben. Lasst euch nicht durch dieses falsche Bild der Wirklichkeit irreleiten! Seid die Hauptdarsteller eurer Geschichte und bestimmt eure Zukunft!

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