Verschlungene Pfade (1)
[Ziska]
"Bahnhöfe sehen überall auf der Welt gleich aus. Ein mehr oder weniger funktionales Gründerzeitgebäude, umrahmt von einer Reihe Schließfächer und einem Unterstand für die Fahrräder. Und die unvermeidlichen Ticketautomaten, die jetzt überall in der Gegend rumstehen. Schöner ist er dadurch nicht geworden." Das waren seltsamerweise meine letzten Gedanken, als ich nach der Beerdigung meiner Großmutter in den Zug stieg, der mich zurück an meinen Wohn- und Arbeitsort bringen sollte. Ein letztes Mal, denn was sollte ich an einem Ort, der außer einer zugegebenermaßen grandiosen Landschaft wenig zu bieten hatte. Außerdem betrug das durchschnittliche Alter hier 60+. Klar, Nonna hatte sich hier wohl gefühlt. Aber noch war ich nicht soweit, etwas anderes außer Frust und Spott zuzulassen. Besser, als den anderen Fahrgästen etwas vorzuheulen.
Nachdenklich betrachtete ich die Pappschachtel auf meinen Knien. In den Koffer hatte sie nicht mehr gepasst und um sie ins Gepäckfach zu legen, war mir der Inhalt zu kostbar; ich hatte da mal einen Regenschirm vergessen. Vielleicht wurde ich sentimental, aber da drin waren die letzten persönlichen Sachen meiner Großmutter. Ich hatte nicht hineingeschaut, als mir die Heimleitung das Päckchen übergeben hatte, aber es würde schon seine Ordnung haben. Immerhin hatten sie auch Nonnas Zimmer für mich aufgelöst.
"Pardon, ist der Sitz noch frei?", die Stimme schien von irgendwoher über meinem Kopf zu kommen und unterbrach meine Gedanken. Eine männliche Stimme mit einem leichten französischen Akzent. Als ich zerstreut nickte, ließ sich ihr Besitzer mir gegenüber in den Sitz fallen, wickelte sich aus seinem Schal - rot mit einem weißen Kreuz, wie ich nebenbei bemerkte - und ordnete seine langen Beine. "Verzeihung, aber ab M. ist der Zug immer so voll", damit versuchte mein Gegenüber wohl sein Eindringen in mein Abteil zu erklären, das ich bis dahin ganz für mich allein gehabt hatte. Auf meine Feststellung dass er die Strecke dann wohl öfter fahre, nickte er nur, wobei ihm seine braune Locken in die Stirn fielen. Mit einer ungeduldigen Geste strich er sie zurück und ich konnte nicht umhin, seinen recht muskulösen Arm und seine stahlblauen Augen insgeheim zu bewundern. Statt das Gespräch fortzusetzen, erwiderte er meinen Blick so intensiv, dass meine Wangen ganz warm wurden. So verging die Fahrt, indem wir einander anschwiegen und abwechselnd aus dem Fenster auf die dahinfliegenden Landschaften blickten. Als wir uns B. näherten, stand ich auf und suchte meine Sachen zusammen. Der bisher schweigende junge Mann stand ebenfalls auf, und wuchtete, ganz Kavalier, meinen großen Koffer aus der Gebäckablage herunter. Er erbot sich sogar, mir in den Mantel zu helfen, aber als ich dankend ablehnte, zuckte er nur mit den Schultern, ließ sich wieder in den Sitz fallen und griff nach einem kleinen, in abgewetztes Leder gebundenes Buch, in dem er vorhin ein paar Mal geblättert hatte. Als ich meine Hand zum Griff des Koffers streckte, um ihn zum Ausgang zu schleppen, fiel mein Blick zufällig auf den Titel des Büchleins: 'Bible' stand dort in kleinen, goldenen Buchstaben eingeprägt.
Ich drehte mich um, schüttelte ein wenig den Kopf und packte meinen Koffer. Schon auf dem Bahnsteig hatte ich den jungen Mann beinahe vergessen.
...wird fortgesetzt. Irgendwann.
"Bahnhöfe sehen überall auf der Welt gleich aus. Ein mehr oder weniger funktionales Gründerzeitgebäude, umrahmt von einer Reihe Schließfächer und einem Unterstand für die Fahrräder. Und die unvermeidlichen Ticketautomaten, die jetzt überall in der Gegend rumstehen. Schöner ist er dadurch nicht geworden." Das waren seltsamerweise meine letzten Gedanken, als ich nach der Beerdigung meiner Großmutter in den Zug stieg, der mich zurück an meinen Wohn- und Arbeitsort bringen sollte. Ein letztes Mal, denn was sollte ich an einem Ort, der außer einer zugegebenermaßen grandiosen Landschaft wenig zu bieten hatte. Außerdem betrug das durchschnittliche Alter hier 60+. Klar, Nonna hatte sich hier wohl gefühlt. Aber noch war ich nicht soweit, etwas anderes außer Frust und Spott zuzulassen. Besser, als den anderen Fahrgästen etwas vorzuheulen.
Nachdenklich betrachtete ich die Pappschachtel auf meinen Knien. In den Koffer hatte sie nicht mehr gepasst und um sie ins Gepäckfach zu legen, war mir der Inhalt zu kostbar; ich hatte da mal einen Regenschirm vergessen. Vielleicht wurde ich sentimental, aber da drin waren die letzten persönlichen Sachen meiner Großmutter. Ich hatte nicht hineingeschaut, als mir die Heimleitung das Päckchen übergeben hatte, aber es würde schon seine Ordnung haben. Immerhin hatten sie auch Nonnas Zimmer für mich aufgelöst.
"Pardon, ist der Sitz noch frei?", die Stimme schien von irgendwoher über meinem Kopf zu kommen und unterbrach meine Gedanken. Eine männliche Stimme mit einem leichten französischen Akzent. Als ich zerstreut nickte, ließ sich ihr Besitzer mir gegenüber in den Sitz fallen, wickelte sich aus seinem Schal - rot mit einem weißen Kreuz, wie ich nebenbei bemerkte - und ordnete seine langen Beine. "Verzeihung, aber ab M. ist der Zug immer so voll", damit versuchte mein Gegenüber wohl sein Eindringen in mein Abteil zu erklären, das ich bis dahin ganz für mich allein gehabt hatte. Auf meine Feststellung dass er die Strecke dann wohl öfter fahre, nickte er nur, wobei ihm seine braune Locken in die Stirn fielen. Mit einer ungeduldigen Geste strich er sie zurück und ich konnte nicht umhin, seinen recht muskulösen Arm und seine stahlblauen Augen insgeheim zu bewundern. Statt das Gespräch fortzusetzen, erwiderte er meinen Blick so intensiv, dass meine Wangen ganz warm wurden. So verging die Fahrt, indem wir einander anschwiegen und abwechselnd aus dem Fenster auf die dahinfliegenden Landschaften blickten. Als wir uns B. näherten, stand ich auf und suchte meine Sachen zusammen. Der bisher schweigende junge Mann stand ebenfalls auf, und wuchtete, ganz Kavalier, meinen großen Koffer aus der Gebäckablage herunter. Er erbot sich sogar, mir in den Mantel zu helfen, aber als ich dankend ablehnte, zuckte er nur mit den Schultern, ließ sich wieder in den Sitz fallen und griff nach einem kleinen, in abgewetztes Leder gebundenes Buch, in dem er vorhin ein paar Mal geblättert hatte. Als ich meine Hand zum Griff des Koffers streckte, um ihn zum Ausgang zu schleppen, fiel mein Blick zufällig auf den Titel des Büchleins: 'Bible' stand dort in kleinen, goldenen Buchstaben eingeprägt.
Ich drehte mich um, schüttelte ein wenig den Kopf und packte meinen Koffer. Schon auf dem Bahnsteig hatte ich den jungen Mann beinahe vergessen.
...wird fortgesetzt. Irgendwann.
Der Versuch eines "Sommermärchens", in Teilen und abwechselnd zu schreiben von Ma Reine und mir. Wir wünschen gute Unterhaltung! :-)
AntwortenLöschenHihi, ich freu mich drauf. :-)
AntwortenLöschenMa Reine
Update! "Schnulzen"-Experiment 2.0: Zwei Autorinnen versuchen eine Blog-Novela. Bitte nicht Karies kriegen und ansonsten, gute Unterhaltung!
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