Sewing Adventure #5: Man kann nie genug Unterröcke haben

Wenn dieser Artikel ein Youtube-Video wäre, würde ich ihn wie folgt betiteln: "Wie ich seit einem Jahr "historybounding" in meine tägliche Garderobe einbaue und was ich daraus gelernt habe". Der Begriff wurde von Morgan Donner geprägt, Reenactress mit Schwerpunkt Mittelalter und  italienische Renaissance, die ihre Recherche und den Herstellungsprozess schriftlich und auf Youtube bloggt. Nach dieser Definition ist "historybounding" die Integration einzelner Elemente historischer Kleidung oder einzelner Kleidungsstücke nach historischem Schnitt und Art hergestellt in die eigene tägliche Garderobe. Besonders geeignet für Menschen, die sich für Geschichte und historische Kleidung interessieren, jedoch in der Öffentlichkeit nicht wie aus einer Zeit-Kapsel gestiegen aussehen möchten oder können. Zu Morgan's wunderbarem Blogartikel und vielen Bildern zum Thema geht es -> hier. 

Eines der ersten Dinge, die ich bei der Beschäftigungen mit historischer Kleidung gelernt habe, ist, dass das Zwiebelprinzip, das unsere Mütter und Großmütter immer empfohlen haben ("Kind, ziehe eine Unterhemd an"), nicht nur lange zurück geht, sondern auch Sinn macht. Selbst im Sommer. Wenn die Kleidungsschichten ausschließlich aus natürlichen Fasern bestehen, wird der Schweiß gut aufgesaugt und man fühlt sich trocken und angenehm. Sehr schnell wird auch klar, dass sich ein Korsett oder Schnürleibchen wahrscheinlich nicht ganz so unbequem trägt, wie man immer meint. Wir sind heute daran gewöhnt, dass der BH direkt auf der Haut getragen wird und dieses Bild übertragen wir nahtlos auf die Korsetts, die als Vorläufer des BH gelten. Dabei vergessen wir, dass zu Zeiten des Korsetts immer mindestens eine chemise oder Kombination aus Hemdchen und langen Unterhosen als erste Schicht auf der Haut getragen wurde. Diese Unterwäsche bestand aus Leinen oder Baumwolle, war angenehm zu tragen und natürlich atmungsaktiv. Darüber kam dann das Korsett und allein diese eine Schicht verhindert ein schmerzhaftes Scheuern. 

Ebenso praktisch wie das chemise-Unterkleid, das Menschen jahrhundertelang trugen, waren und sind die Unterröcke. Ich habe zwei, einen knielang, einen in Midilänge und ich arbeiten an einem dritten in Knöchellänge. Aus einem einfachen, günstigen Baumwollstoff sind sie waschbar wie ihre historischen Vorbilder. Im Winter habe ich tatsächlich diese zusätzliche Schicht Wärme gespürt, jetzt im Sommer spüre ich, wie auch der Unterrock Schweiß aufsaugt und sich luftig genug anfühlt, damit ich mich nicht eingeengt fühle. 
Den Schnitt habe ich aus dem Bertha Banner's Buch von 1898 "Household sewing and home dressmaking", das ich hier schon mehrfach erwähnt habe. Eine meiner Lieblingsquellen. Der Schnitt des sog. "Hausmädchen Rock" ist relativ einfach zu zeichnen, man braucht nur die Taillenweite. Für das Vorderteil nimmt man die halbe Taillenweite (im Stoffbruch zugeschnitten), die beiden rückwertigen Partien werden oben jeweils ein Viertel der Taillenweite breit genommen und erweitern auch zum Saum hin ähnlich wie das Vorteil. 
Für die langen Nähte, mit denen man die Rockteile zusammennäht, kann man natürlich eine Nähmaschine nehmen, immerhin wurden die so um 1880 erfunden. 
Die rohen Kanten versäubere ich inzwischen gern per Hand, wie ich es von Bernadette Banner gelernt habe. Dazu schneidet man eine Nahtzugabe zurück, schlägt die andere darüber und sichert sie mit sehr feinen Stichen (felling stitch). 
Rüschen und Falten gehen dem Rocksaum hin sehen nicht nur hübsch aus, sondern helfen auch dabei, den Überrock schön weit aufzuhalten. Zudem dient der Unterrock auch als eine Form des Futters (drop lining statt flat lining).
Auf den Ohren habe ich beim Nähen sehr gerne ein Hörbuch, auch dies eine Form von Zeitreisen. 

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