Eremitin wider Willen

 oder: Was ich im Lockdown gelernt habe (nicht nur für meinen Glauben) 

Oh nein,  nicht schon wieder ein Artikel mit den Wörtern Corona-Pandemie oder Lockdown, werdet ihr denken. Ich verstehe euch. Nach annähernd zwei Jahren Pandemie bemerke ich auch bei mir Ermüdungserscheinungen. Ich verspreche euch, hier wird es nicht um Hygienemaßnahmen, Masken, Impfungen oder dergleichen gehen. Heute möchte ich vielmehr darüber sprechen, was die Isolierungen, Quarantänen und Lockdowns mit uns anstellen und was wir vielleicht Positives daraus mitnehmen können. 

1. Zurück zu sich selbst

Es mag banal klingen, aber wenn man von einem auf den anderen Tag nicht mehr seine Wohnung oder sein Haus verlassen kann, gibt es nur noch eine Person, der man täglich begegnet: man selber. Ich habe diese Erfahrung in den ersten Lockdowns gemacht und gemerkt mit wieviel Dingen ich mich ablenke, nur um mich nicht mit mir selber zu beschäftigen. Wie oft habe ich meine Großmutter belächelt, als sie sagte, dass sie den Fernseher laufen lasse, um die Illusion zu erzeugen, nicht allein zu sein. Und im Lockdown ging es mir ähnlich. Inzwischen weiß ich, was "binge-watching" ist, weil ich es selber gemacht habe. Oder vielmehr "binge-hearing". Als ich jedoch die erste Phase der Ablenkung überwunden hatte, kam die Ruhe, die mich auf mich selbst zurück warf. Und ich war nicht unbedingt begeistert von dem, was ich da fand. Aber es war lehrreich. So weiß ich jetzt, dass ich mit totaler Stille überhaupt nicht gut zurecht komme. Wenn meine Hände nichts zu haben, wird mein Inneres unruhig. Aber wenn ich meine Finger beschäftigt werden, kann ich stundenlang ruhig auf einem Fleck sitzen und meinen Geist "auf die Weide führen". Dabei ist es eigentlich egal, ob meine Hände Strick-, Häkel oder Nähnadeln halten oder einen Rosenkranz. Hauptsache, die halten etwas, dann werden meine Gedanken ruhig und es können sich manche Dinge klären. 

2. Der Duft nach Brot und Kuchen

Habt ihr auch Bananenbrot gebacken im Lockdown? Gebt es ruhig zu. Irgendwo müssen die ganzen Bananen- und andere Brote ja hergekommen sein oder wie ließen sich sonst die vielen Bilder und Hashtags in den sozialen Medien dazu erklären? Und ja, wenn die Menschen in ihren Häusern festsitzen, fangen sie zwangsläufig damit an, diese Zuhause neu zu entdecken. Ich finde es allerdings interessant, dass sich diese Neuentdeckungen in erster Linie um das Selbermachen von Dingen handelt, wie eben um alte Koch- und Zubereitungsarten. Ist es die Erinnerung an unsere Kindheit, die wir mit dem Duft nach Brot und Kuchen verbinden? Die Erinnerung an eine Zeit, in der die Dinge für uns einfacher waren, in der wir uns einfach fallen lassen durften, uns jederzeit in eine Decke einkuscheln konnten und von Mama getröstet wurden, wenn die Welt da draußen einfach nur gemein war? Vielleicht. Vielleicht reicht die Sehnsucht nach Entschleunigung, Atem-schöpfen, Näher-an-der-Natur-sein aber auch wesentlich weiter zurück. Die Romantiker Anfang des 19. Jahrhunderts fühlten sehr ähnlich. Aus unserer Perspektive waren die industriellen Anfänge der Zeit lächerlich klein, doch für die Menschen damals, die noch ganz vom Lebensrhythmus des 18. Jahrhunderts geprägt waren, reichten die Neuerungen aus, um sich vielfach überfordert zu fühlen. Dazu kamen die alles beherrschenden napoleonischen Kriege und es wird verständlich, warum sich die Menschen ins Private zurückzogen. Nur wurde es damals "Biedermeier" genannt (in Deutschland) und nicht "cottagecore". 

Ich habe in dieser Zeit übrigens nicht nur Brot gebacken. Ich habe auch Eintöpfe gekocht, Wäsche gestopft und überhaupt das Nähen ganz groß für mich entdeckt. Dabei folge ich in den Fußstapfen von Opa Paul, meines Urgroßvaters, eines Schneidermeisters aus Hamburg, der 1881 geboren wurde. Er erlebte in seiner beruflichen Laufbahn das Aufkommen der Nähmaschinen, wobei er das Meiste von Hand genäht haben wird und eben jene Techniken und Schnitte lerne ich seit einem Jahr mit Feuereifer. Dabei arbeite ich an einer Garderobe, mit der ich selbstbewusst im Alltag des 21. Jahrhunderts die klassische Würde aus Oma Lisas Tagen (andere sagen "Victorian"/"Edwardian" dazu) widerspiegeln kann. 

3. Der Tabernakel im Herzen

Aber die verpassten Gottesdienste, höre ich die nächsten Einwände. Ja, die gab es. In der Hochphase der Pandemie wurden heilige Messen abgesagt und Gotteshäuser geschlossen. In dieser Zeit wagten viele Gemeinden, Gemeinschaften und ganze Bistümer mutig den Schritt in die digitale Welt, in der sie bislang nur Zaungäste waren. Multimediale Angebote schossen wie Pilze aus dem Boden. Beinahe täglich konnte und kann man nun online die heilige Messe feiern und dabei kann man sich auch noch den Ort aussuchen. Ja, es ist "nur" Livestream, also übertragen. Ja, es fehlt die physische Gemeinschaft und dass man sich leibhaftig aufrafft und auf den Weg macht. Doch übertragene heilige Messen sind ebenso gültig wie vor Ort gefeierte, solange es live Übertragungen sind. Das habe ich in meiner Zeit bei Radio Horeb gelernt und dieser katholische Rundfunksender überträgt bereits seit 25 Jahren täglich mindestens einmal die heilige Messe. Wir haben also keinen Grund, die Beziehung zu unserem Schöpfer zu vernachlässigen. Gott sieht uns auch im Lockdown. Auch wenn der Nächste gerade nicht durch die Tür sehen kann und wir deshalb in abgewetzter Jogginghose oder ganz ohne mit Chips, Pizza und Cola vor dem Fernseher lümmeln, anstatt die Dinge zu tun, die eigentlich dran wären. 

Dabei ist es wirklich einfach. Wenn man nicht mal vor die Tür gehen muss, ist die größte Anstrengung die des Willens. Wobei das ja manchmal wirklich das Schwierigste ist. Raffen wir uns aber auf und setzen uns im Sonntagsstaat vor dem Computer, Radio oder Fernseher, um eine heilige Messe durch Übertragung mitzufeiern und uns auch innerlich darauf einzulassen, so kann es geschehen, dass auch das Herz wirklich auffaltet und die Gebete mindestens so ernst gemeint und innig sind, wie wenn man vor Ort wäre. Zumindest machte ich diese Erfahrung, als ich aufhörte die Livestream nur zu konsumieren, sondern ernst zu nehmen. Dabei hat es mir tatsächlich geholfen, mich äußerlich ebenso herzurichten und zu kleiden, wie wenn ich zur Kirche ginge, anstatt im Nachthemd und halb verknautscht verspätet den Mess-Livestream einzuschalten. Vielleicht bin ich oberflächlich und ihr macht diesen,  meinen Fehler alle nicht, aber mir hilft das äußere Herrichten und Mitbeten bei der inneren Sammlung. Auch wenn es in meinem eigenen Wohnzimmer ist. 

Ein weiterer Schatz, den ich während der Zeit der Isolation wider Willen erneut entdeckt habe, ist die geistliche Kommunion. Ich wusste schon länger dass es das gibt und dass die Kirche dieses eucharistische Gebet sehr stark empfiehlt. Kurz gesagt eignet sich die geistliche Kommunion für alle Menschen, die an die Realpräsenz Jesu Christi in der Eucharistie glauben und die aus diversen Gründen keine sakramantale Kommunion empfangen können. Das kann aus Krankheit sein, oder weil jemand räumlich zu weit weg von der nächsten heilige Messe ist, oder auch weil die Lebensumstände die sakramantale Kommunion nicht ermöglichen. Tatsächlich hat mein Lieblingsweihbischof die geistliche Kommunion u.a. auch für geschiedene-und-zivil-wieder-verheiratete Menschen empfohlen. Das Geschrei könnt ihr euch nicht vorstellen! Doch dadurch offenbaren die Schreier, dass sie überhaupt nicht wissen,worum es bei der Kommunion in Wirklichkeit geht, nämlich um die innere Verbindung mit dem eucharistische Herrn. Und die kann man unter Umständen eben auch haben, ohne dass man das von außen mitbekommt. Im Grunde bedeutet die geistliche Kommunion, im eige­nen Her­zen eine Sehn­sucht nach dem Emp­fang der Kom­mu­ni­on zu ver­spü­ren oder zu wecken. Es geht um ein Ver­lan­gen danach, Chris­tus zu begeg­nen und sei­ne Gegen­wart zu erfah­ren und ihn des­we­gen ein­zu­la­den, in das eige­ne Herz zu kom­men, es mit sei­nem Licht, sei­nem Frie­den und sei­ner Freu­de zu erfül­len. Wem das zu diffus ist, der kann auch diverse eucharistische Gebete dazu sprechen, wie "Gottheit tief verborgen" zum Beispiel. Mit den geistlichen Kommunionen bitte ich Gott, aus meinem Herzen einen Tabernakel für ihn zu machen, der mich auch im Alltag trägt. 

Was habt ihr im Lockdown gemacht und/oder gelernt? Schreibt es gerne in die Kommentare; ich freue mich, mit euch ins Gespräch zu kommen. 

Kommentare

  1. Das sind weitgehend auch meine Lockdown- und Quarantäne-Erfahrungen. (Bananenbrot habe ich allerdings immer nur backen wollen. Irgendwie steht das noch aus. Und andere Brote backe ich ohnehin immer selbst, schon vor Corona.)
    Auch ich habe die zwei Quarantänen, die ich durchmachen musste, als Eremitenzeiten empfunden. Mir hat dabei das Stundenbuch geholfen und auch der Rosenkranz, und ein strikterer Zeitplan als ich ihn sonst habe.

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    1. Mir haben diese Eremitenzeiten geholfen, einige Dinge zu klären, nicht nur geistlich. Es befreit ungemein, wenn man nicht von einem Termin zum anderen hetzen muss, allerdings verlangt es auch eine größere Selbstdisziplin ab.

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