Sewing Adventures #1: Dirndlupcycling und erste Erkenntnisse

"Meister, ich bin fertig. Darf ich trennen?
Dieser Ausspruch eines jungen Lehrlings aus der Werkstatt meines Urgroßvaters wurde in meiner Familie rasch zu einem geflügelten Wort und er begleitet auch meine ersten Gehversuche in den Fußstapfen des alten Schneiders aus Rothenburgsort.

Am Beginn dieses speziellen Weges trifft meine innere Hobby-Historikerin die Familienforscherin in mir und beide Ladies teilen die Begeisterung für alles Handwerkliche. Also war der Entschluss gefasst, künftig mehr Sorgfalt auf meine persönliche Garderobe zu verwenden als bisher. Damit meine ich nicht nur das Stopfen, Ausbessern und Anpassen bestehender Kleidungsstücke, damit sie länger halten und ordentlich aussehen, sondern auch das Nähen neuer Kleidungsstücke. Denn anscheinend musste ich über 30 Jahre auf dieser Erde leben, um nun endlich den Mut zu finden, genau den Kleidungsstil zu tragen, in dem ich mich wirklich wohl fühle. Damit meine ich unter anderem Röcke, Blusen und Capes, insbesondere solche, die an das Ende des 19. Jahrhunderts, Beginn des 20. Jahrhunderts erinnern. Die Entscheidung für gerade diese Epoche hat nicht nur ästhetische Gründe, sondern soll auch eine kleine Referenz an oben erwähnten Schneider aus Rothenburgsort, seine Frau und Kinder sein, ebenso wie an die ehrenwerte Dichterin Gertrud Freiin von Le Fort. Nun habe ich mich bereits seit geraumer Zeit in den allgegenwärtigen Stretch-Jeans unwohl und gefangen gefühlt, doch es brauchte die online Videos zahlreicher kreativer, mutiger Ladies aus der ganzen Welt, die schon länger historische Elemente und Kleidung in ihre alltägliche Garderobe übernehmen (#historybounding, #historicalcostuming und andere Hashtags), um mich in einem Stil zu bestärken, der nicht der postmodernen Uniformität folgt, sondern, selbstbewusst getragen, eine versöhnende Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Tradition und Zukunft schlägt. 

Wenn nun ihr, liebe Freunde, wie ich, eifrig eure Strick,- Häkel,- oder Nähnadeln zückt, lasst euch noch einen Rat mit auf den Weg geben: Lasst euch nicht einreden, ihr könntet das nicht! Zugegeben, als Kind fehlt es einem oft an Geduld für ein zeitaufwendiges Hobby. Ich war ein lebhaftes Kind, längere Zeit stillzusitzen fiel mir schwer. Doch inzwischen bin ich herangewachsen und trotzdem habe ich mich zu lange von den Worten meiner Mutter "Du kannst das nicht" zurückhalten lassen, etwas zu lernen, was ich schon immer tun wollte. Seid in diesem Punkt nicht wie ich. Wenn ihr etwas Neues lernen wollt, dann lernt es! Wenn ihr etwas tun wollt, woran euer Herz hängt und ihr schadet damit niemandem (einschließlich euch selber und eurer unsterblichen Seele), dann tut es! 

Was hat es nun mit dem eingangs zitierten Ausspruch auf sich? Nun, beim Trennen eines Kleidungsstücks kann man so viel Neues lernen. Erst wenn die Säume aufgetrennt sind und das Kleidungsstück in seinen Einzelteilen vor einem liegt, versteht man wie es funktioniert. Das ist besonders hilfreich, wenn man, wie ich, noch nie wirklich ein Schnittmuster verstanden hat.

Für diese wertvolle erste Lektion wählte ich zwei Dirndl, die mir zu eng geworden waren. 
 
Ein Dirndl ist ein bayerisches und österreichisches Trachtenkleid, das gegen Ende des 19. Jahrhunderts erfunden wurde und auf der alltäglichen Gewandung von Bauersfrauen, Mägden und anderen arbeitenden Frauen im 18. und 19. Jahrhundert basiert. Diese Herkunft sieht man heute noch im Aufbau eines Dirndlkleides aus Bluse, Mieder, Rock und Schürze. Traditionell sind diese Teile separat, aufgrund der modernen Bequemlichkeit werden sie heute auch als Kleid zusammengenäht. Die beiden Dirndl, denen ich mit dem Nahttrenner zu Leibe rückte, waren ebenfalls als Einteiler gedacht. Hier habe ich nun einen einzelnen langen Rock, sowie ein einzelnes Mieder aus rotem gemustertem Baumwollstoff gemacht. Den langen Rock habe ich am Saum ein wenig gekürzt, um einen Bund heraus zu bekommen. Den Bund habe ich von Hand angenäht, ebenso wie die Haken und Ösen im Rückenteil. Der Rock ist schwarz, sehr praktisch zu kombinieren und obwohl aus 100% Polyesterstoff (weder historisch akkurat, noch atmungsaktiv oder umweltbewusst), wäre es schädlicher für die Umwelt gewesen, den Stoff einfach wegzuwerfen, nur weil es Polyester ist. Er wurde nun einmal hergestellt und sollte deswegen auch getragen werden. Zu dem Mieder habe ich, inspiriert von mehreren Miederoberteilen aus dem 18. Jahrhundert, ein Schößchen genäht.

Die nächste Lektion, die ich aus der Umarbeitung (oder #upcycling, modern gesprochen) dieser Dirndlkleider gewonnen habe, ist, wie viel Freude von Hand nähen macht! Wirklich, es ist reineweg meditativ, wenn man all die kleinen vorbereitenden Arbeiten (zuschneiden, abstecken, heften, Nahtzugaben bügeln) beachtet und deswegen weiß, wo es lang geht. Dann kann man sich auch darauf konzentrieren, möglichst kleine, genaue Stiche zu setzen, hat mehr Kontrolle über die Arbeit, als wenn man der Gnade einer schnell ratternden Maschine ausgesetzt ist und kann sich hinterher an schönen, geraden Nähten und Säumen erfreuen. 

In diesem Sinne: An die Nadeln, Freunde und herzlich willkommen an die neue Rubrik "sewing adventures" auf diesem Blog! 
 
Taucht mit mir ein in die spannenden Geschichten rund um vintage oder historisch inspirierte Kleidungsstücke. 

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