Sewing adventures, #6: Warum man immer ein mock-up machen sollte (oder zwei oder drei)

oder: Was ich bei meinem ersten Schnürmieder gelernt habe

Mieder und Korsette haben in der allgemeinen Meinung einen schlechten Ruf. Einengend, gesundheitsschädlich, frauenfeindlich. Dieses Bild hält jedoch nur solange, wie man sich mit den wirklichen Fakten beschäftigt und dann kommt man ziemlich schnell auf die Erkenntnis, dass verstärkte, geschnürte Oberteile schon seit Jahrhunderten Teil der weiblichen Bekleidung aller gesellschaftlichen Schichten sind. Ob Bauersfrau, Kaufmannstochter oder Adelige, sie alle trugen über ihrem Unterkleid (engl.: shift, franz.: chemise) einen Unterrock und geschnürtes, mit Weide oder Fischbein verstärktes Oberteil. Im 15. und 16. Jahrhundert war das verstärkte Mieder direkt an einem Rock angenäht, später wurde dann ein separates Kleidungsstück daraus. Die Verstärkung des Mieders diente zur Stütze des Rückens und der Brust, war also der Vorgänger des BHs. Das soll natürlich nicht heißen, dass es die figurverformenden Auswüchse bei Korsetten nicht gab, aber das waren meistens sog. It-Girls, wie die österreichische Kaiserin Elisabeth. Aber ich finde es höchst unfair, ein Kleidungsstück, dass Frauen seit Jahrhunderten und bis Anfang des 20. Jahrhunderts gute Dienste leistete, aufgrund einiger weniger Auswüchse zu verurteilen. Soviel nur als Disclaimer voraus. 

Seit ich mich mit historischer Kleidung beschäftige, faszinieren mich diese verstärkten, stützenden Kleidungsstücke ungemein und ein Schnürmieder aus dem 18. Jahrhundert (engl.: stays) oder ein Korsett  aus dem 19. Jahrhundert stehen beide auf meiner langen Liste von Nadelprojekten. In der Folge werde ich den englischen Begriff "stays" eher verwenden, weil es den Großteil der Quellen aus englischsprachen Ländern stammt, namentlich dem UK oder den USA. Wie bei meinem "Stine-Rehbein-Ensemble", von dem ich den "walking skirt" heute noch Tag für Tag trage, nehme ich auch für meine 18.-Jahrhundert-stays den Wettbewerb von Foundations Revealed als Anlass. Vor allem, weil ich auf dieser Website die meisten Artikel und Quellen für meine Recherche zu diesem Projekt gefunden habe. 

Da ich also noch nie solche "stays" gemacht habe und auch nach einer ausführlichen Lektüre von Artikeln mir nicht wirklich vorstellen konnte, wie das funktionieren könnte, habe ich als Ausgangspunkt das Simplicity-Schnittmuster 8162 gekauft, das in Zusammenarbeit mit den Historikerinnen Lauren Stowell und Abby Cox von American Duchess entstanden ist. Weil ich bisher mit vorgefertigten Schnittmustern nicht die allerbesten Erfahrungen gemacht habe (die passen selten auf den ersten Versuch), bin ich natürlich davon ausgegangen, dass ich mindestens ein mockup machen muss. Dafür und auch weil ich der US-amerikanischen Größentabelle nicht so ganz getraut habe, habe ich bei dem ersten mockup zunächst den Schnitt um eine Größe rundum vergrößert. Das war ein Fehler. Aus diesem ersten Probemodell wäre ich fast durchgefallen und habe ich erfreut festgestellt, dass ich doch nicht so dick bin, wie befürchtet. 

Das zweite mockup war das bisher lehrreichste. Nicht nur habe ich daran gelernt, wie ich die Ösen (engl.: eyelets) von Hand nähe, sondern auch, wie ein solches Mieder aussehen kann, wenn die (künstlichen) Fischbeinstäbe drin sind und wie man das historischerweise schnürt (nämlich diagonal und nicht kreuzweise). Dennoch ist auch dieses zweite mockup ein wenig weit und ich habe es wieder auseinandergenommen, um den Schnitt für ein drittes mockup zu verändern. Ein wenig schmaler an den Seiten und hinten und generell ein bisschen länger, damit die Miederschöße (engl.: "tabs") nicht direkt in der Taille anfangen. 

Aus mockup #2 wird...

... mockup #3, etwas schmaler und länger. 

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