Besser als "Reign": das Leben der hl. Elisabeth von Thüringen
"Es waren einmal ein König und eine Königin, die lebten glücklich mit ihren Kindern auf ihrer Burg. Eines Tages kamen Boten aus einem fernen Land und teilten dem König mit dass ihr Herrscher eine Braut für seinen ältesten Sohn und Erben suche. Und so verlobten der König und Königin eine ihrer kleinen Töchter mit dem unbekannten Prinzen und ließen sie in das ferne Land ziehen."
Was bis hierher wie ein Märchen oder wie die bekannte Fernsehserie "Reign" klingt, war im Mittelalter (und bis weit in die Neuzeit) gängige Praxis in der Welt des Adels. Nicht nur Mädchen verließen ihr Elterhaus früh. Auch Jungen, die zum Ritterdienst ausgewählt waren, wurden bereits im Kindesalter zum Pagendienst von der elterlichen Burg geschickt. Dabei ging man davon aus, dass sich Kinder besser in ihren künftigen Lebensaufgaben zurechtfinden, wenn sie möglichst früh mit der dazugehörigen Umgebung konfrontiert werden.
Auch das kleine Mädchen, das im Jahr 1211 von der Ungarn nach Thüringen reiste, sollte möglichst früh auf ihre neuen Aufgaben hin erzogen werden. Dass hatten die Gesandten des thüringischen Landgrafen Heinrich II. ihren Eltern erklärt, als sie gekommen waren, um den Ehevertrag für die vierjährige Elisabeth auszuhandeln. Glaubt man der Legende, war das Einleben auf der Wartburg alles andere als einfach für das kleine Mädchen, doch sie kam ja nicht allein dort an. Es muss ein großer Tross gewesen sein, der von Ungarn loszog, um allein die reiche Mitgift zu sichern. Einige bekannte Diener und Hofdamen werden vielleicht auch dabei gewesen sein, zumindest in der Anfangszeit. Ihre künftige Schwiegermutter, Landgräfin Sophie von Thüringen, die nicht nur Elisabeths Erziehung beaufsichtigte, sondern auch die ihrer leiblichen Kinder und aller anderen, die zur Erziehung dort waren, wird als fordernd, anspruchsvoll und sehr standesbewusst beschrieben. Eine klassische Antagonistin. Elisabeths Verlobter, der älteste Sohn des Landgrafen Hermann I., der den Namen seines Vaters trug, war wohl rund acht Jahre älter als sie, zum Zeitpunkt ihrer Ankunft auf der Wartburg etwa 12. Über die Beziehung der Kinder untereinander erfährt man in der Überlieferung wenig. Auf jeden Fall scheint keine Abneigung geherrscht zu haben. Verbürgt ist jedenfalls die während der gemeinsamen Kindheit wachsende Sympathie Elisabeths zu Hermanns jüngerem Bruder Ludwig. Der sieben Jahre ältere Ludwig wird als freundlich, gut aussehend und nachsichtig beschrieben. Dass Elisabeth auch nach dem allzu frühen Tod des Prinzen Hermann auf der Wartburg bleibt und mehrere Jahre vergehen, bevor sie dann Ludwig, der in der Zwischenzeit Nachfolger seines Vaters als Landgraf geworden war, heiratet, lässt sich fast nur mit dieser gegenseitigen Sympathie erklären, denn immerhin wäre Elisabeth als Tochter des ungarischen Königs auch für andere Männer eine begehrenswerte Partie. Genug Stoff jedenfalls, um wiederum zu beweisen, dass die Menschen des Mittelalters erstens wesentlich klüger und vielschichtiger waren als man uns heute versucht einzureden und zweitens, dass die Realität eigentlich jede Netflix-Serie toppt. Auch Elisabeths weiteres Leben gestaltete sich spannender als jeder Fiktion sein kann. Doch ebenso wie die Heldinnen historisierender Serien ist sie eine entschlossene junge Frau, die ihrem Gewissen, ihrer "inneren Stimme" konsequent folgt und sich nicht scheut auch gegen Konventionen ihrer Zeit zu verstoßen. Überdies findet man in der Biographie der heiligen Elisabeth mehr als eine starke Frau. Ihre Mutter Gertrud, eine Tochter des einflussreichen Grafen von Andechs-Meran, konnte auch Einfluss auf die Regierungsentscheidungen ihres Mannes, Königs Andreas II von Ungarn, nehmen. Eine Tante mütterlicherseits wurde als Hedwig von Schlesien zur zentralen Figur in der Gestaltung dieses Reiches. All diese Frauen widerlegen ausdrücklich die weitverbreiteten Vorurteile über die angebliche Unterdrückung der Frau im Hochmittelalter und sind jede für sich eine beeindruckendere Persönlichkeit, als man sich hätte ausdenken könnte.
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