Pierre Goursat - Eremit und Evangelisierer

Ein Wiener Priester weist dankenswerterweise darauf hin, dass das Hochfest Mariä Verkündigung wegen der Karwoche heuer am 8. April feierlich begangen wird. Nichtsdestotrotz war der eigentliche Termin gesten, außerdem ist der 25. März der Geburtstag zur Ewigkeit des Großstadteremiten Pierre Goursat, des Gründers der Gemeinschaft Emmanuel. Als kleines nachträgliches Geburtstagsgeschenk kommt hier ein Artikel über ihn, den ich am 17.08.2012, dem himmlischen Geburtstag meines lieben Papas, fertig bekam.


Das Licht unterm Scheffel leuchtet doch

 Von den Christen der ersten Jahrhunderte ist man gewohnt nur wenig gesicherte Fakten zu kennen. Dass es auch im 20. Jahrhundert, das gern als „Informationszeitalter“ bezeichnet wird, einem Mann gelingen konnte, sich fast gänzlich im Dunkel der Geschichte zu verbergen, ist erstaunlich. Die Rede ist von Pierre Goursat, dessen Tod sich am 25. März 2011, dem Fest Mariä Verkündigung, zum 20. Mal jährte. Pierre, der sich gern als armen, kleinen Diener Gottes ansah und in dieser Demut beinahe jenem „poverello“, dem großen „kleinen Armen“ aus Assisi vergleichbar ist, wäre hochzufrieden, wenn er wüsste, wie sehr er hinter seiner Gründung zurücktritt. Die Gemeinschaft Emmanuel wird langsam auch in Deutschland immer bekannter, nicht zuletzt durch die 'Emmanuel School of Mission' in Altötting und die 'Nightfever' Abende, welche die Anbetung und den Lobpreis Gottes wieder mitten in die Städte tragen. Bernard Peyrous, der Pierres Biographie schrieb, bezeichnet ihn sogar als einen wichtigen Zeugen der Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts, aber das ist wohl jeder Katholik, der so früh in dieses Jahrhundert hineingeboren wurde.

Am 15. August 1914, zwei Wochen nachdem die deutschen Truppen nach Frankreich aufgebrochen waren, erblickte dort Pierre Goursat das Licht der Welt. Bereits in seiner Kindheit kannte er Freuden und Schmerz, aber mehr in seiner kleinen persönlichen Welt, weniger durch das Grollen der großen Geschichte. Pierres Kindheit war wohl behütet, materiell nicht luxuriös, aber abgesichert, da seine Mutter und Großmutter ein kleines Hotel mit Restaurant betrieben. „Inmitten der vielfältigen Tätigkeiten, die das Betreiben eines Hotels erforderlich macht, bewahrte sich meine Mutter ein kindliches Herz und sie betete immer mit dem Rosenkranz in den Händen“, sagte Pierre, der von diesen beiden Frauen einen starken Glauben und eine Liebe zu Maria vorgelebt bekam, die sich auch darin zeigte, dass er selbst der heiligen Jungfrau von Geburt geweiht war. In dieser heiteren Kindheit gab es nur zwei Schatten: die Abwesenheit des Vaters Victor Goursat, der die Familie früh verließ und der plötzliche Tod seines geliebten jüngeren Bruders Bernard, der im Alter von zehn Jahren starb. „Ich hatte den Eindruck, dass man mich entzwei riss,... dass die eine Hälfte meiner selbst abhanden gekommen war“, sagte er noch Jahrzehnte danach. Den Schmerz über diesen Verlust würde er zeitlebens spüren, und doch, oder gerade deswegen wurde Bernard über seinen Tod hinaus zu einer entscheidenden Hilfe bei Pierres Bekehrung.

Pierre Goursat als junger Mann.
Bildquelle:hier
Wir sehen also einen jungen Mann, charmant, begabt und feinsinnig. Offen für alles Schöne, begegnet er allen Menschen freundlich und wirkt doch stets ein wenig zurückhaltend. Im Grunde ist er sehr schüchtern. Und doch wird ausgerechnet er eine Bewegung auslösen, deren erste Aufgabe und Sehnsucht es ist zu evangelisieren. Was unterscheidet nun diesen jungen Mann von anderen?
Bis zum Jahr 1933 tatsächlich wenig. In dieses, so schicksalhafte Jahr 1933, fällt das Ereignis, das Pierres Leben von Grund auf verwandeln sollte, das es quasi vom Kopf auf die Füße stellte. Es passt zu diesem bescheidenen Mann, dass es sich hierbei nicht um ein äußeres Ereignis handelte, um etwas Großes, das in den Geschichtsbüchern verzeichnet ist, wie die Geschehnisse in Deutschland zur gleichen Zeit. Nein, was ihn verwandelte und ihm den Auftrieb für sein ganzes Leben gab, geschah in seinem Inneren und es war sehr kurz. Wie das Blitzlicht eines Fotoapparates und genauso schwer zu greifen. Es war eine Vision und dann doch wieder keine, es war... ach, lassen wir Pierre selbst erzählen:
„Es war so einfach, dass es mir nicht leicht fällt, davon zu sprechen. Plötzlich fühlte ich die Gegenwart meines Bruders (der zu diesem Zeitpunkt bereits sieben Jahre tot war) mit außergewöhnlicher Intensität. Es war, als würde er mir sagen: 'Du denkst nicht mehr viel an mich,weil du dem Stolz verfallen bist.' Es war, als sei er wirklich gegenwärtig. Ich fand mich am Fußendemeines Bettes auf den Knien wieder und als ich aufstand, war ich völlig verwandelt. Ich war nicht länger derselbe wie zuvor. Es war, als hätte ich eine Ausgießung des Heiligen Geistes empfangen.“
Was auffällt, ist die außergewöhnliche Feinfühligkeit, die aus diesen Worten spricht. Eine Feinfühligkeit und Aufmerksamkeit für die „inneren Sinne“, wie sie typisch sind für viele, gerade französische Heilige, und vielleicht in der romanischen Seele liegen. Gleichzeitig mit einem Ruf zu Umkehr und Anbetung, gab ihm dieses intensive innere Erlebnis eine neue Liebe zum Herzen Jesu ein, stark genug für das ganze Leben. Man mag dies sehen wie man will, doch scheint es, dass sich Gott des jung verstorbenen Bernard Goursat bediente, weil die Brüder einander so nahegestanden hatten und vielleicht auch weil Bernard bei der Geburt dem Herzen Jesu geweiht worden war. Natürlich war dieses Erlebnis nur das erste in einer Reihe von Entdeckungen des Glaubens, etwa vergleichbar mit der weißen Kugel, die ein Billardspiel in Gang setzt. Dass er in diesem Spiel, auf diesem Weg zum Glauben nicht verloren ging, verdankte Pierre nicht nur dem Gebet von Familie und Freunden, sondern auch mehreren guten Priestern, die ihm einfühlsam und mit Humor den Reichtum des katholischen Glaubens näher brachten und von denen er lernte, wie er selbst (sehr viel später) suchende Menschen begleiten konnte.

Einer dieser geistlichen Begleiter war Emmanuel Kardinal Suhard (1874 – 1949), von 1940 bis zu seinem Tod Erzbischof von Paris. Dieser hatte als einer der ersten die Notwendigkeit einer neuen Evangelisierung Frankreichs erkannt – und dass bereits in den 1930er und 40er Jahren! Außerdem bestärkte er Pierre, als dieser, im Gegensatz zu seinem Umfeld, nicht der Meinung war zum Priester berufen zu sein. Auch der Kardinal sah eher eine Berufung Pierres als „Laien-Anbeter, der in der Welt bleibt“ und nahm sein erstes Gelübde (Ehelosigkeit) entgegen. Die übrigen Gelübde (Armut und Gehorsam) folgten 1970 in Gegenwart von Abbé Jaques Goursat, einem Vetter Pierres. Diese Lebensform, die den „geweihten Jungfrauen“ gleicht, erinnert bei Pierre, da er ein Mann war, an die frühchristlichen Eremiten, mit dem Unterschied, dass er mitten in einer der geschäftigsten Städte der Welt lebte. Aber auch inmitten einer Menschenmenge kann man sehr einsam sein. Mit dem Gespür des erfahrenen Seelenführers spürte Kardinal Suhard diese Einsamkeit, in die Pierre nach seiner Bekehrung mehr und mehr geraten war, denn „es war, als ob sich eine Glaswand zwischen ihm und seinen früheren Freunden“ befunden hätte. Daher riet er ihm, die Gesellschaft von Gleichgesinnten und Mitbetern zu suchen. Diese fanden sich nach und nach und so legte der Kardinal einen Grundstein zu jenem Gebetskreis, aus dem Jahrzehnte später die Gemeinschaft Emmanuel erwachsen sollte.

Pierre Goursat und Martine Lafitte,
Gründer der Gemeinschaft Emmanuel
Bildquelle: hier
Lange vor dem Web 2.0 erkannte Pierre auch die Wirkung der Medien seiner Zeit auf die Menschen. Er betrieb einen kleinen Buchladen mit christlichen Schriften und widmete sich mit besonderer Leidenschaft dem nach dem zweiten Weltkrieg aufstrebenden Film. Dabei bemühte er sich, Filme mit christlichen Inhalten und guten moralischen Werten zu fördern und zu verbreiten. So organisierte er beispielsweise die Uraufführung des Films „Opfergang einer Nonne“ (nach den Romanen von Georges Bernanos und Gertrud von le Fort).

Bis zum Februar des Jahres 1972, das die Gemeinschaft Emmanuel als ihr Gründungsjahr bezeichnet, führte Pierre also ein zurückgezogenes, stilles Leben zwischen seiner Wohnung in einem Pfarrhaus, seinen Büchern und Filmen und den Tabernakeln verschiedener Pariser Kirchen – ein Eremit im Herzen der Großstadt, aus deren Straßen heraus das Licht seines Glaubens bis in das Heute hinein strahlt.

Kommentare

  1. Ein schöner Hinweis auf Pierre Goursat, der ganz als Anbeter in der Welt gelebt hat. Auch das ist sein bleibendes Vermächtnis: Jesus in der Anbetung zu begegnen als Immanuel (Gott-mit-uns) und darüber in das Mitleiden für den anderen in der Nächstenliebe zu wachsen. Er hat der französischen Kirche entscheidende Impulse gegeben, die bis heute durch das Wirken der Gemeinschaft Emmanual sichtbar sind.

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  2. Dankeschön @TSchall und willkommen in der "Blogoezese".

    In Christo et Maria!

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