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Sewing adventures #7: Das einfachste Kleid der Welt

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 oder: Was Geometrie mit  Nähen zu tun hat Manchmal geht eine Tür direkt vor der Nase zu. So fühlte es sich jedenfalls an, als ich mich fünfzehn Minuten vor Ablauf der Eingabefrist des 2024er Wettbewerbs von Foundation Revealed vor unüberwindlichen technischen Hürden sah, deren Überwindung sowohl den zeitlichen Rahmen als auch meine nervliche Belastbarkeit überreizt hätte. Das war zunächst etwas frustrierend, doch zum Glück gibt es mehr als eine Möglichkeit, Ideen und Erfahrungen zu teilen. Also hole ich dieses Blog wieder hervor, staube es ab und schüttele es gut aus, um es aus dem Schlaf zu wecken und teile mit euch, die wahrscheinlichste einfachste Art, ein Kleid zu machen.  Die Methode ist annähernd 2000 Jahre alt (ca. 300 v.Chr. bis 1700 A.D.) und man braucht dazu nur Rechtecke und Dreiecke des Stoffes. Der Name des fraglichen Kleidungsstückes hat sich in den Jahrhunderten gewandelt, doch eine altrömische Tunika sah gar nicht so anders als ein hochmittelalterliches ...

Sewing adventures, #6: Warum man immer ein mock-up machen sollte (oder zwei oder drei)

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oder: Was ich bei meinem ersten Schnürmieder gelernt habe Mieder und Korsette haben in der allgemeinen Meinung einen schlechten Ruf. Einengend, gesundheitsschädlich, frauenfeindlich. Dieses Bild hält jedoch nur solange, wie man sich mit den wirklichen Fakten beschäftigt und dann kommt man ziemlich schnell auf die Erkenntnis, dass verstärkte, geschnürte Oberteile schon seit Jahrhunderten Teil der weiblichen Bekleidung aller gesellschaftlichen Schichten sind. Ob Bauersfrau, Kaufmannstochter oder Adelige, sie alle trugen über ihrem Unterkleid (engl.: shift, franz.: chemise) einen Unterrock und geschnürtes, mit Weide oder Fischbein verstärktes Oberteil. Im 15. und 16. Jahrhundert war das verstärkte Mieder direkt an einem Rock angenäht, später wurde dann ein separates Kleidungsstück daraus. Die Verstärkung des Mieders diente zur Stütze des Rückens und der Brust, war also der Vorgänger des BHs. Das soll natürlich nicht heißen, dass es die figurverformenden Auswüchse bei Korsetten nicht gab, ...

Sewing Adventure #4: Von Nadel, Faden und Gemeinschaft

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Eigentlich hatte Nähen schon immer viel mit Gemeinschaft zu tun. Seit ich selbst regelmäßig Nadel und Faden zur Hand nehme, weiß ich, wie zeitaufwendig das Fertigen auch scheinbar ganz einfacher Kleidungsstücke sein kann und vor meinem inneren Augen sehe ich nicht nur die Schneiderinnen und Putzmacherinnen mit ihren Gehilfinnen zusammensitzen, sondern auch Mütter, Großmütter, Tanten, die ihre Fähigkeiten an die nächsten Generationen weitergeben. Wie gerne würde ich in Urgroßvater Pauls oder Großtante Sophies Schneiderstube mit sitzen, ihre Geschichten hören und von ihnen lernen. Gerade Urgroßvater Paul , geboren 1881, wäre der Experte in "authentic victorian dressmaking techniques"! Im 21. Jahrhundert haben wir dafür das Internet (und Frauenwahlrecht, es ist ja nicht alles schlecht). Auf diese Weise können wir virtuell Gleichgesinnte treffen, unsere Erfahrungen teilen, Inspirationen bekommen und viel voneinander lernen. An dieser Stelle möchte ich nachdrücklich die wirklich...

Sewing Adventures #3: Was Nähen mit Emanzipation zu tun hat

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Da fängt man ahnungslos und guten Mutes ein neues Projekt an und findet sich unversehens in der Mitte neuer Erkenntnisse.  Nachdem ich glücklich die erste Etappe meines "victorian walking skirt" (Schnitt zeichnen und Mock-up) hinter mich gebracht hatte, holte ich einmal tief Luft, bevor ich mich an Ausschneiden wagte. Ich habe mir einen braunen Baumwollstoff mit unauffälligem Karomuster ausgewählt und Anleitung in den Büchern "Authentic Victorian Dressmaking Techniques" und "Household sewing and home dressmaking" gesucht. Das letztere Buch wurde ca. 1898 von einer gewissen Mrs. Bertha Banner in England geschrieben und wird in der Community der nähbegeisterten Kostümfans ("historical costumers", "historybounders") sehr gefeiert, weil man nicht nur ein historisches Quellendokument hat, sondern quasi direkt aus dem 19. Jahrhundert lernen kann.  Als ob man bei Mrs. Banner in der Klasse sitzt... Auf dem Titelblatt findet sich...

Sewing Adventures #2: Was Nähen mit Mathe zu tun hat

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Da habe ich mir ja was vorgenommen! Nach dem ich jüngst von meinem alten Dirndl den Rock abgetrennt und umgearbeitet habe, sollte mein erstes ganzes Projekt jener "Victorian Walking Skirt" sein, der in dem Nähjournal " The Keystone Guide to Jacket and Dress Cutting " von 1895 beschrieben ist. Seit Bernadette Banner ihre Interpretation dieses spätviktorianischen Rocks auf YouTube vorstellte, hat sie eine regelrechte Lawine der Inspiration losgetreten. Das Schöne am Keystone Guide sind die höchst detaillierten Schritt-für-Schritt Beschreibungen für verschiedene Jacken, Kleider und andere Kleidungsstücke der letzten Jahrhundertwende. It's Mock-up Time Die größte Hürde dabei war für mich die Inch-Skalierung des anglo-amerikanischen Autors. Bei meinem ersten Versuch, das Schnittmuster nach Diagramm und Beschreibung zu zeichnen bin ich an der unerwarteten mathematischen Seite des Vorhabens gescheitert. Zum Glück habe ich den Fehler rechtzeitig bemerkt; dafür macht ma...

Sewing Adventures #1: Dirndlupcycling und erste Erkenntnisse

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" Meister, ich bin fertig. Darf ich trennen? "  Dieser Ausspruch eines jungen Lehrlings aus der Werkstatt meines Urgroßvaters wurde in meiner Familie rasch zu einem geflügelten Wort und er begleitet auch meine ersten Gehversuche in den Fußstapfen des alten Schneiders aus Rothenburgsort. Am Beginn dieses speziellen Weges trifft meine innere Hobby-Historikerin die Familienforscherin in mir und beide Ladies teilen die Begeisterung für alles Handwerkliche. Also war der Entschluss gefasst, künftig mehr Sorgfalt auf meine persönliche Garderobe zu verwenden als bisher. Damit meine ich nicht nur das Stopfen, Ausbessern und Anpassen bestehender Kleidungsstücke, damit sie länger halten und ordentlich aussehen, sondern auch das Nähen neuer Kleidungsstücke. Denn anscheinend musste ich über 30 Jahre auf dieser Erde leben, um nun endlich den Mut zu finden, genau den Kleidungsstil zu tragen, in dem ich mich wirklich wohl fühle. Damit meine ich unter anderem Röcke, Blusen und Capes, insbeson...